Was Eltern können sollen

Elterliche Kompetenzen lassen sich nicht einfach „erlernen“. Ihre Entwicklung hängt immer auch von gesellschaftlichen Normen, ökonomischen Umständen und von den konkreten Beziehungen der Beteiligten ab.

Was sollen Eltern heute können? Die Antworten auf diese Fragen sind in der Regel aus gutem Grund wenig konkret. Es geht eher um generalisierte als um spezifische Fähigkeiten wie etwa Kochen, Kartenspielen oder die Demonstration mathematischer Kenntnisse. Die geforderten elterlichen Kompetenzen fallen in verschiedene Bereiche:

  • Alltagskompetenz – die Fähigkeit, mit alltäglichen häuslichen und Umweltanforderungen (Geldverwaltung, Einkauf, Ernährung, Hygiene, Wohnen,…) flexibel und effektiv umzugehen,
  • pädagogische Kompetenz – die Fähigkeit, sich kommunikativ und erzieherisch auf die Interessen und Entwicklungschancen von Kindern einzustellen und ihren Entwicklungsprozess positiv zu beeinflussen. Kommunikativ bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem: mit dem Kind reden, ihm die Grundzüge des eigenen Handelns vermitteln und erklären, ihm zuzuhören und seine Sicht der Dinge in das eigene elterliche Handeln einbeziehen,
  • soziale Kompetenz – die Fähigkeit, soziale Kontakte zu knüpfen, zu erhalten und positiv zu gestalten, um nicht in Isolation zu geraten, um eigene Interessen vertreten und sich Unterstützung holen zu können. Dabei geht es natürlich in erster Linie um Kontakte zu anderen Eltern und Kindern, aber auch um die Beziehungen zu pädagogischen und anderen Fachkräften,
  • kognitive und fachliche Kompetenz – die Fähigkeit, Erfahrungen und Wissen zu sammeln und auf neue Situationen anzuwenden, um so den Wissenserwerb der Kinder optimal zu unterstützen. Dazu gehört auch die Bereitschaft zur intellektuellen Weiterentwicklung,
  • Bewältigungskompetenz – die Fähigkeit, mit kritischen Lebenssituationen, Beeinträchtigungen und Verlusten umzugehen und fertig zu werden, ohne in Resignation oder Depression zu fallen,
  • Bewertungs- und Veränderungskompetenz – die Fähigkeit, Dinge, Verhältnisse, Entwicklungen….in der Umwelt wahrzunehmen und sicher zu beurteilen, verbunden mit der Kontrolle über das eigene Verhalten und der Überzeugung von der eigenen Wirksamkeit. Darüber hinaus geht es hier auch um den Aufbau und die Erhaltung oder Modifizierung eines adäquaten Selbstbildes sowie um die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer realistischen Lebensperspektive.

Beim Nachdenken darüber, wie sich diese elterlichen Kompetenzen stärken ließen, gilt es einige wichtige Punkte zu berücksichtigen.

Erstens sind elterliche Kompetenzen keine feststehenden Sachverhalte, sondern grundsätzlich und immer soziale Konstruktionen: Was wir als Kompetenzen benennen – oder sie jemandem absprechen – ist immer auch von unserer Beobachtungsperspektive abhängig. So kann die frühe Pflicht von Kindern, an der Versorgung von jüngeren Geschwistern mitzuarbeiten, einerseits als Unterstützung sozialer Kompetenzen beim Kind, vielleicht aber auch als nicht kindgerechte Überforderung beschrieben werden. Die strenge Handhabung von Regeln und Strafen kann als ungerechtfertigte Härte Kindern gegenüber erscheinen, aber auch als Übernahme von Verantwortung für die geistig-moralische Entwicklung des Nachwuchses. Ob das Verhalten von Eltern kompetent ist oder eher ein Versagen darstellt, lässt sich also nicht ohne die Einbeziehung des jeweiligen gesellschaftlichen Rahmens beurteilen. Gerade in der Umbruchsituation der 60er und 70er Jahre, in der heute aktuelle pädagogische Forderungen erstmals auf breiter Basis ausformuliert wurden, standen sehr unterschiedliche normative Konstruktionen elterlicher Kompetenzen nebeneinander, die um die dominante Position in der Gesellschaft kämpften. Die gegenwärtig als einmütig anmutende Sicht der elterlichen Kompetenzen kann also keineswegs einen „objektiven“ Status beanspruchen.

Zweitens entfalten sich Kompetenzen immer nur in einem konkreten sozialen Kontext. Die Dimension gerät völlig aus dem Blick, wenn wir Kompetenzen nur als personengebunden ansehen. Wir machen uns nicht klar, wie stark ein Mangel an ökonomischen, sozialen und gesundheitlichen Ressourcen eine einfühlsame, großzügige, geduldige und reflektierte Erziehungshaltung beeinträchtigen oder sogar verhindern kann. Insofern ist gelungene Elternschaft in mancherlei Hinsicht immer noch eine Klassenfrage. Je mehr Zeit Eltern zur Verfügung haben, je mehr Geld sie ausgeben können, desto mehr können sie auf die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Kinder eingehen und in ihre Ernährung, Gesundheit und Bildung investieren. Je mehr Zimmer die Wohnung der Familie hat, desto eher können ihre Mitglieder Konflikten aus dem Weg gehen. Je mehr soziale Unterstützung Eltern durch Verwandte, Nachbarn oder andere soziale Netze haben, desto eher können sie ein bereicherndes Umfeld für Kinder schaffen und Hilfe in der Not organisieren.

Drittens kommen elterliche Kompetenzen immer nur in konkreten und einmaligen Beziehungen zur Geltung; sie sind daher abhängig von der Qualität und der Geschichte dieser Beziehungen. So erleben wir, dass Eltern ein Kind geduldig und liebevoll in seiner Entwicklung begleiten können, seine Geschwister jedoch nicht. Elterliche Fähigkeiten können sich im Beisein Dritter zeigen und wieder verschwinden, wenn man sich wieder alleine mit der Erziehungssituation konfrontiert sieht. Manche Eltern können besser mit fremden Kindern als mit den eigenen umgehen – und so weiter. Es erscheint daher nicht sinnvoll, elterliche Kompetenzen als „Ein-Personen-Merkmale“ zu denken, etwa im Sinne eines Kataloges von Fähigkeiten und Kenntnissen, die Eltern jederzeit zur Verfügung stünden. Erziehungs- und Beziehungskompetenz sind also Merkmale von Beziehungen selbst.

Viertens impliziert das Konzept der Kompetenzen Lern- und Lehrbarkeit. Wie können aber elterliche Kompetenzen gelernt und vermittelt werden? Wir sehen uns heute mit einem Berg an Wissen über Elternschaft konfrontiert; möglicherweise ist in den letzten zehn Jahren mehr dazu veröffentlicht worden als in der gesamten Menschengeschichte zuvor. Allerdings erfasst dieses Wissen wahrscheinlich nur zu einem kleineren Teil, was elterliche Kompetenzen in ihrem jeweiligen Lebenszusammenhang wirklich ausmacht. Das hat auch mit den Grenzen zu tun, die durch die sprachliche Form von Wissensdarstellung gegeben sind. Der größere Teil elterlicher Kompetenz besteht wohl in einer Art von implizitem Wissen, das nur schwer in explizites, also verbales Wissen übersetzt werden kann. Implizit meint hier: bestimmte Dinge zu wissen und zu praktizieren, ohne sie notwendigerweise angemessen beschreiben oder reflektieren zu können. Dieses Wissen und diese Praktiken sind eher verkörperlicht als bewusst, eher im Körpergedächtnis als mental repräsentiert. Solche verkörperlichten, wenig bewussten Alltags-Routinen nennt der französische Soziologe Pierre Bourdieu „Habitus“. Auch die biologischen Grundmuster elterlichen Verhaltens spielen hier mit hinein.

Fünftens ist vieles an elterlichem Verhalten also habituell und habitualisiert und daher nicht einfach durch Wissensvermittlung zu ändern. Entscheidend für elterliches Lernen ist vielmehr die Möglichkeit, unmittelbare, existenzielle Erfahrungen im Erziehungskontext machen zu können. Elterliche Kompetenz in diesem Sinne ist also weniger Ergebnis didaktischer Vermittlung als die Entwicklung eines unmittelbar praktischen „Eltern-Seins“ oder „Eltern-Sinnes“. Darauf muss sich Didaktik dann einstellen.

Sechstens, last but not least, meint „Kompetenz“ nicht nur die Fähigkeiten selbst, sondern auch die Motivation, sie einzusetzen. Dies gilt ganz besonders für Familienbeziehungen. Emotional bedeutsame Beziehungen gehören zu den wichtigsten Motivationsquellen überhaupt, eigene Kompetenzen zu erwerben und einzusetzen. Eltern, die ihre Kinder lieben und fördern wollen, werden sich zumindest auch darum bemühen, sie zu unterstützen und ihr eigenes Verhalten darauf einzustellen.

Tom Levold